Was war zuerst?
Ist die Frage nach dem Huhn und dem Ei eigentlich abschließend beantwortet? Ich glaube, ja, oder?
Ich meine, ich hätte neulich irgendwo gelesen, dass erst das Ei da war – macht evolutionsbiologisch ja auch Sinn.
Aber wie ist es bei Romanen? Was ist da zuerst da? Die Figuren? Die Geschichte? Oder vielleicht nur eine Situation?
Oft ist es ein “Was wäre, wenn”. Was wäre, wenn – mein Sohn wartet immer noch darauf, dass ich dieses Buch endlich schreibe – wir den Mars kolonisiert hätten und sich dann herausstellte, dass es dort längst Leben gab? Was wäre, wenn niemand je sterben würde? Was wäre, wenn …
Geschichten können sich auch aus einer Situation heraus entfalten. Bei meinem Erstling war das so. “Start with a man at the end of a cliff”, hatte ich in einem Vortrag gehört, also tat ich das. Ich setzte einen Jungen an den Rand einer Klippe, und dann fragte ich mich, wie er dort hingekommen war, und daraus entwickelte sich die Geschichte.
Der Auslöser für den zweiten Roman war ein “Was wäre, wenn”. Ich hatte vor einiger Zeit die Bücher des Wildnislehrers Tom Brown gelesen, und ich fragte mich, wie es wohl wäre, wenn jemand, der so ganz anders aufgewachsen ist, plötzlich in eine normale norddeutsche Schule kommt. Natürlich schnörkelte die Geschichte sich dann auch woanders hin, aber das war der Anfang.
Und jetzt Leo.
Bei Leo war zuerst die Figur da, Leo, das nette, nachdenkliche, musisch begabte (und vielleicht auch ein bisschen langweilige) Mädchen. Und irgendwie kam mit ihr gleichzeitig die Geschichte: Leo trifft auf ihr genaues Gegenteil. Der Typ ist wenig nett, nicht besonders nachdenklich – aber auch ganz bestimmt nicht langweilig.
Diese Geschichte (nettes Mädchen trifft Badboy) wurde im Laufe der menschlichen Erinnerung vermutlich zehntausendmal und öfter erzählt, sie ist alles andere als neu.
Aber sie passiert auch einfach immer wieder. Leos Plot habe ich zusammengebaut aus vielen Geschichten aus dem echten Leben, die echte Mädchen genau so erlebt haben.
Das heißt, bei Leo ist eigentlich alles von Anfang an da. Inklusive der Figuren, die schon alles ausdiskutieren, bevor auch nur eine Seite geschrieben ist.
Derzeit ist es Leos beste Freundin, die mir in den Ohren liegt: “Janne finde ich nicht so schön. Ich würde gern Sina heißen.”
Ich sage: “Okay. Meinetwegen. Aber häng das bitte nicht an die große Glocke. Ich will jetzt echt nicht über jeden Pipifax diskutieren müssen, sonst kommen wir hier zu nix.” Sina also. Ziemlich nah an Kimo dran, finde ich. Vielleicht kann ich da nochmal mit ihr drüber reden.
Plot 101
Weil ich bei Leo ja die Geschichte und die Figuren im Wesentlichen im Kopf habe, sollte es auch kein Problem sein, alles auf die Plotwand zu bringen. Die sieht bei mir so aus:
Oben kleben derzeit noch die Post-its der letzten Geschichte, einfach, weil es fürs Foto wichtiger aussah.
Die Plotwand ist aufgeteilt in Akt I, Akt II und Akt III mit den entsprechenden Wendepunkten dazwischen. Ich nehme mir als ersten Arbeitsschritt jetzt einfach bunte Post-its und klebe die Szenen, die ich von der Geschichte kenne, auf die Plotwand:
Leo zieht in die große Stadt – zack, ganz an den Anfang.
Wenn mir noch was einfällt, was davor muss, kann ich ja umkleben.
Leo trifft den LI (Love Interest) – auch irgendwo an den Anfang, klar.
Leo entdeckt etwas Entscheidendes – Wendepunkt I
Und so weiter.
Das ist im Prinzip alles, was ich am Anfang für den Plot brauche. Ich weiß von Kollegen, die 80-seitige Inhaltsangaben schreiben, aber ich mag es gern, beim Schreiben ab und zu überrascht zu werden. Auch wenn es anstrengend sein kann, die Figuren dann wieder auf den “richtigen Pfad” zu führen und daran zu erinnern, dass sie sich doch bitte jetzt mal langsam küssen sollten.
Ich schätze, das wird bei dieser Geschichte mit diesen von Anfang an renitenten Figuren ganz besonders interessant.
Übrigens: Leo hat einen ersten Satz!